Stellungsnahme von Andreas Richter, IHK Region Stuttgart, zum Strukturbericht 1998/99
 
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Mit diesem Gutachten, das wir jetzt zum zweitenmal präsentieren, wollen wir den Strukturwandel in der Region Stuttgart beschreiben und Vorschläge zu seiner Begleitung machen. Es geht uns dabei um die Innenansicht der Region, um ihre wirtschaftlichen Strukturen und deren Veränderung. Einen Schwerpunkt haben wir diesmal auf die besondere Situation der geringqualifizierten Arbeitskräfte gelegt. Dazu wird Herr Dr. Steinacher später ausführlicher eingehen.

Der Strukturbericht stützt sich auf Daten der amtlichen Statistik, die wir - soweit möglich - mit den Ergebnissen unserer jüngsten IHK-Konjunkturumfrage verbunden haben. Lassen Sie mich die wichtigsten Aussagen des Strukturberichts 1998/99 zusammenfassen.

Kein Zuwachs an Dienstleistungsarbeitsplätzen

Wenn man unter Strukturwandel vor allem die Verlagerung der Gewichte von der Industrie zu den Dienstleistungen versteht, dann hat sich bei oberflächlicher Betrachtung im letzten Jahr in der Region Stuttgart nicht viel bewegt: Sowohl im Verarbeitenden Gewerbe als auch im Dienstleistungssektor blieb die Anzahl der Arbeitsplätze 1998 in etwa konstant. Der Anteil der Dienstleistungsbranchen an allen Arbeitsplätzen blieb bei 52 Prozent und damit erheblich unter dem Durchschnitt der alten Bundesländer von 59 Prozent. Unter der Oberfläche gab es jedoch erhebliche Verschiebungen.

Industriekonjunktur überlagert Strukturwandel

In der Industrie hat der konjunkturelle Aufschwung des letzten Jahres den Strukturwandel in der Region überlagert. Die Industrie konnte vor allem durch die gute Entwicklung der Automobilwirtschaft ihren Personalstand halten. 1999 ist nach einem eher schwachen Beginn der Industrieumsatz im ersten Halbjahr doch wieder um 3,3 Prozent gestiegen; dies liegt über dem Landesdurchschnitt von 2,5 Prozent. Da zuletzt die Exporterwartungen wieder freundlicher ausfielen, erscheint für das gesamte Jahr 1999 ein Umsatzwachstum zwischen vier und fünf Prozent durchaus erreichbar. Für die einzelnen Industriebranchen sind die Aussichten sehr unterschiedlich. Während für den Fahrzeugbau der Region Stuttgart erneut ein Wachstum von über zehn Prozent realistisch erscheint und für die Elektrotechnik die Erwartungen zwischen drei und vier Prozent liegen, kann der Maschinenbau nur unter günstigen Umständen ein leichtes Wachstum erreichen. Absehbar ist zudem ein erheblicher Umsatzrückgang im Bereich der Eisen-, Blech- und Metallverarbeitung.

Umstrukturierungsprozesse bei traditionellen Dienstleistern

Auffällige Umstrukturierungsprozesse finden in den traditionellen Dienstleistungsbranchen Handel, Verkehr und Nachrichtentechnik sowie Banken und Versicherungen statt. Unternehmensübernahmen und Fusionen bestimmen das Bild. Dabei gibt es räumlich gegenläufige Bewegungen: Während die Kreditinstitute verstärkt ins Zentrum der Region drängen und das Filialnetz in den Landkreisen ausdünnen, scheint der Handel eher aus dem Zentrum zu weichen. Mit ihm geht seine Funktion, ein Zentrum sichtbar zu machen und zu beleben. Der Handel in der Region Stuttgart hat noch mehr zu kämpfen als anderenorts. Während in Deutschland und Baden-Württemberg seit 1990 die Beschäftigung im Handel zunahm, ging sie bei uns zurück. Besonders betroffen war von diesem Rückgang die Stadt Stuttgart, die fast 9000 Arbeitsplätze verlor.

Verlierer des Strukturwandels: Frauen und Geringqualifizierte

Zu den Verlierern des Strukturwandels gehörten diesmal die Frauen und die geringqualifizierten Arbeitskräfte. Die Frauen waren am Abbau der einfachen Arbeitsplätze in der Industrie überproportional beteiligt. In den unternehmensorientierten Dienstleistungsbranchen, wo Beschäftigung aufgebaut wird, sind sie unterrepräsentiert. Geringqualifizierte können häufig die Anforderungen selbst vermeintlich einfacher Arbeitsplätze im Dienstleistungsbereich nicht erfüllen. Dazu gehört das Beherrschen der deutschen Sprache, soziale Kompetenz und zeitliche Flexibilität.

Gewinner des Strukturwandels: Unternehmensorientierte Dienstleister und Junge

Gewonnen haben erneut die unternehmensorientierten Dienstleister, wie zum Beispiel Unternehmensberatungen und Softwarefirmen. Diese Betriebe haben bereits seit einigen Jahren die höchsten Wachstumsraten bei der Beschäftigung. Erstmals seit den krisenbedingten Einbrüchen des Arbeitsmarktes gibt es in der Region Stuttgart seit April 1999 wieder unter 80.000 gemeldete Arbeitslose. Dies wie auch die sinkende Arbeitslosenquote sowie die Zunahme an offenen Stellen signalisiert eine Entspannung am regionalen Arbeitsmarkt. Vor allem Jugendliche und arbeitslose junge Erwachsene konnten wieder in den Arbeitsprozess integriert werden; seit Mitte 1998 sinkt aber auch die Zahl der Langzeitarbeitslosen. Für einen spürbaren Beschäftigungsaufbau fehlen aber die entsprechend qualifizierten Arbeitskräfte. Das betrifft besonders die Branchen Elektrotechnik- und Maschinenbau sowie Informations- und Telekommunikationstechnik.

Überdurchschnittliche Zuwächse in anderen Regionen

Es fällt auf, dass die Region Stuttgart 1998 erstmals seit drei Jahren bei allen relevanten Kennzahlen mit Ausnahme des Exports leicht hinter dem Landesdurchschnitt lag. Die Regionen Karlsruhe und Heilbronn erreichten dagegen im letzten Jahr überdurchschnittliche Zuwächse. Beides sind Regionen, in denen - wie bei uns — der Fahrzeugbau und die Zuliefererindustrie eine bedeutende Rolle spielen. Die besseren Zuwachsraten führen wir zum einen auf den Basiseffekt zurück. Zum anderen spielen aber auch neue Werke und Modelle sowie harte und weiche Standortfaktoren im Zusammenhang mit gezielten Ansiedlungsstrategien eine Rolle.
 

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Welche Konsequenzen ergeben sich aus diesen Ergebnissen?
  1. Unternehmen brauchen Infrastruktur

    Die Schwäche unserer Dienstleistungen und ihr Rückstand gegenüber dem Bundesdurchschnitt ergibt sich auch aus der Stärke unserer Industrie. Dieser Umstand wirkt sich zwangsläufig auf die Statistik aus und zwar zu Lasten des Dienstleistungssektors. In einem ausgeprägten produzierenden Bereich sehe ich einen beachtlichen Standortvorteil für unsere Dienstleistungsbetriebe. Die Unternehmen werden allerdings immer freier in der Wahl ihres Standortes. Ob ein Dienstleister seine Arbeitsplätze ausgerechnet in der Region Stuttgart schafft, hängt ganz entscheidend von den regionalen Standortfaktoren ab. Dazu zählen zum Beispiel die Verkehrs- und die Kommunikationsinfrastruktur, die Qualifikation der vorhandenen Arbeitskräfte sowie die Höhe lokaler Steuern und Abgaben. Die Standortpolitik für die Region Stuttgart muss daher optimale Rahmenbedingungen schaffen, sowohl für Industrie- als auch für Dienstleistungsunternehmen. Gelingt das nicht, werden wir diese Unternehmen langfristig gesehen nicht am Standort Region Stuttgart halten können.

  2. Konzentration auf das Wesentliche

    Erfolgreiche Ansiedlungen finden in aller Regel nicht aus dem Nichts statt. Neue Entwicklungen setzen eher auf vorhandenen starken Branchen in der Region auf. Eine wichtige Rolle spielen dabei "Cluster", also Zusammenballungen von Unternehmen und anderen Einrichtungen eines bestimmten Wirtschaftsbereichs in einer Region. Sie fördern gleichzeitig den Wettbewerb und die Zusammenarbeit. Unsere Schwerpunkte liegen dabei in der Automobilwirtschaft, im Maschinenbau, in Teilen der Medienwirtschaft, aber auch im Bereich Electronic Business und in der Umwelttechnologie. Wenn es in der Informationsgesellschaft auf die Mobilität von Daten, aber auch von Menschen ankommt, dann müssten unsere Unternehmen auch in der Zukunft einiges zu bieten haben. Die Mobilitätsanforderungen gelten aber auch für den eigenen Standort. Ohne Einbindung in schnelle Verkehrs- und Telekommunikationsnetze verliert der Standort Region Stuttgart schnell an Wert.

    Ich sage offen, dass mir im Gutachten zu oft von Branchendialogen und Clustermanagement die Rede ist. Cluster managen zu wollen, klingt mir zu sehr nach Planwirtschaft. Wir können nur begleiten, beraten, initiieren. Nach wie vor ist der richtige Weg, den Unternehmen und dem Markt die Entscheidungen zu überlassen. Die Unternehmen in der Region sind sich ihrer Verantwortung durchaus bewusst. Die IHK sieht eine ihrer Hauptaufgaben darin, als Informationsdrehscheibe für Transparenz in der Region zu sorgen und den Unternehmen eine Plattform zu bieten, auf der sie Kooperationen und Netzwerke entwickeln können.

  3. Strukturwandel im Handel

    Das heißt nicht, dass die Kammer einem Laisser-faire-Kapitalismus das Wort redet. Nehmen Sie das Beispiel Handel. Das Gutachten hat noch einmal deutlich gemacht, dass der Handel von mehreren Seiten vom Strukturwandel betroffen ist. Vielen Händlern machen der Verdrängungswettbewerb durch neue Medien und damit neue Vertriebswege oder großflächige Ansiedlungen außerhalb der Innenstädte zu schaffen. Wir können und wollen den Strukturwandel nicht aufhalten. Deshalb treten die IHK und die von ihr vertretenen Einzelhändler für eine vollständige Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten von Montag bis Samstag, bei gleichzeitig restriktiver Handhabung des Sonntags, ein.

    Wir sehen aber auch, dass von der Aktivität und Ausstrahlungskraft lebendiger Stadtzentren ganz wesentlich die Zukunft unserer Städte abhängt. Einzelhandel allein macht eine Stadt noch nicht attraktiv, aber er hat Signalwirkung auf andere Bereiche wie Tourismus, Gastronomie und Kultur. Es ist ein Gebot der Vernunft, durch konsequente Anwendung vorhandener Planungsinstrument die Zukunft der Innenstädte unserer Region nachhaltig zu sichern. Zusammen mit dem Verband Region Stuttgart und einigen anderen Partnern haben wir deshalb die Initiative "Zukunft der Innenstädte" gestartet.

    Um die Einführung neuer Techniken im Handel zu beschleunigen, wirken wir bei Modellprojekten mit. Ziel des Projekts Mobilist ist zum Beispiel, den elektronischen Handel mit der dazugehörenden Logistik zu verbinden. Darüber hinaus unterstützen wir die Unternehmen bei der Anwendung der neuen Medien durch unser Kompetenzzentrum für elektronischen Geschäftsverkehr (ECC).

  4. Qualifikation

    Qualifizierung, bei der sowohl berufliche als auch soziale Kompetenzen vermittelt werden, ist das Zukunftsthema für den regionalen Arbeitsmarkt, insbesondere vor dem Hintergrund des erwähnten Fachkräftemangels in der Region. Es ist ein Thema für die Unternehmen, für die Politik und auch für die Gewerkschaften. Herr Steinacher wird noch einmal genauer darauf eingehen.

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