Pressemitteilung der IGM Region Stuttgart zu Strukturbericht 2001/2002

Alternde Belegschaften, polarisierte Qualifikationsstrukturen, integrierte Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik und Bestandspflege sind die künftigen Herausforderungen für die Region Stuttgart
 
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  1. Das Gutachten zeigt eindrucksvoll den großen Handlungsbedarf hier in der Region, der durch die gegenseitig verbundenen Problemlagen der Alterung der Belegschaften und der polarisierten Qualifikationsstruktur gegeben ist. Nach Auffassung der IG Metall ist es hier nicht mit der einen oder anderen Einzelinitiative getan; nötig ist vielmehr eine ganzheitliche Politik gegen Ausgrenzung der Un- und Angelernten und der Älteren.
    Es wird deutlich, dass offensichtlich weder Arbeitsorganisation noch Arbeitszeit so konzipiert sind, dass sie eine Beschäftigung bis zum gesetzlichen Renteneintrittsalter erlauben. Schon aus Sicht der strapazierten Rentenkassen müsste dies zum Umdenken anregen. Das fordert zugleich aber auch eine ganzheitliche Politik gegen vorzeitigen Verschleiß, der im Zeichen eines Jugendwahns keine Rücksicht nimmt auf die "Reproduktionsmöglichkeiten" der Menschen, keinen Raum lässt für Qualifizierung, keinen vernünftigen Umgang mit Stress und Arbeitsbelastungen ermöglicht.
    Tatsache ist: Der Anteil älterer Beschäftigter wird sich in den nächsten 10 Jahren verdoppeln und dies bei einer heute schon überproportionalen Alterstruktur in den Betrieben. Nicht das biologische Alter steht einer Berufsausübung entgegen, sondern der vorzeitige körperliche und psychische Verschleiß. Heute ist ein längerer Verbleib Älterer nicht geplant und diese wollen es auch häufig nicht, weil sie "ausgebrannt" sind (Burn-out-Syndrom). Dazu brauchen wir ein gesellschaftliches Umdenken. Die Menschen müssen in den verschiedenen Lebenszyklen altersgerecht in die Arbeitswelt und die Qualifizierung einbezogen werden.
    In Zentrum muss hier auch der Einstieg in eine zielgerichtete Personalentwicklung in den Betrieben und Verwaltungen stehen. Hierzu haben Südwestmetall und IG Metall mit dem Qualifizierungstarifvertrag ein wichtiges Werkzeug geschaffen. In den Betrieben werden jetzt mit Personalentwicklungsgesprächen und Qualifikationsbedarfsanalysen erste Schritte umgesetzt.
    Betriebliche Erfahrungen gibt es bei Bosch und Valeo im Bereich Frauenqualifizierung, bei Trumpf und AtlasCopco mit Arbeitszeitkonten für Qualifizierung oder bei Stihl mit der Ausbildung ungelernter Beschäftigter. In der Breite ist systematische Qualifizierung und langfristige Personalentwicklung noch lange nicht Realität. Hinzu kommt: Ein solcher Einstieg steht für alle anderen Branchen noch aus. Der Strukturbericht zeigt hierzu Handlungsbedarf weit über die Metall und Elektroindustrie hinaus.
     
  2. Das Gutachten zeigt aber auch, dass durch die mittelfristigen demografischen Trends die Arbeitslosigkeit vermutlich nicht "durch die Hintertür" beseitigt wird. Kurzfristig bleiben wir in vielen Branchen und Betrieben der Region von Arbeitsplatzabbau und Restrukturierung betroffen, es wird sogar regelrechte Verlierer des Strukturwandels geben.
    Erforderlich ist aus Sicht der IG Metall daher eine integrierte Arbeitsmarkt und Beschäftigungspolitik in der Region. Hier ist in erster Linie die Arbeitsverwaltung gefordert, die über ihre jeweiligen Arbeitsamtsbezirke hinaus regional handeln muss. Es gilt, innovative Instrumente wie den ESF strategischer einzusetzen und neue gesetzliche Möglichkeiten wie das JobAqtivGesetz zu nutzen, um Prävention tatsächlich anzugehen. Heute muss noch der Umweg über das Wirtschaftsministerium gegangen werden, um Kurzarbeit und Qualifizierung zu verzahnen, wie die Beispiele STP und SMST in Sindelfingen zeigen. So etwas darf in Zukunft nicht mehr notwendig sein! Die Gewerkschaften werden zu einer solchen integrierten Arbeitsmarktpolitik ihren Teil beitragen, gefordert sind jedoch alle arbeitsmarktpolitisch Beteiligten.
     
  3. Nicht zuletzt zeigt das Gutachten, dass selbst ohne Berücksichtigung der aktuellen konjunkturellen Risiken die Boomphase der letzten Jahre doch sehr selektiv geblieben ist: Richtig profitiert hat nur die extrem exportstarke Kfz-Industrie mit den großen Zulieferern, während fast alle anderen Branchen mehr oder weniger mit Problemen zu kämpfen haben. Aus räumlicher Sicht zugelegt hat eigentlich nur der Kreis Böblingen und mit Abstrichen die Stadt Stuttgart, während alle andere Kreise bestenfalls stagniert haben.
    Zunehmend öffentlich wird nun auch, dass trotz der auslaufenden guten Konjunktur Betriebe wieder Personal abbauen (Beispiele Roto Frank, Alcatel, ITT Cannon). Viele andere sind für neue Herausforderungen, wie komplexe Logistikkonzepte, eigene Entwicklungsvorleistungen oder Vorfinanzierungen nicht ausreichend gewappnet.
    In den letzten Jahren sind gerade auch auf Initiative der IG Metall wichtige regionale Projekte etwa zur Stabilisierung der Kfz-Zulieferstruktur oder zur regionalen Beschäftigungspolitik mit der WRS gestartet worden. Solche Initiativen der Bestandssicherung gewinnen zunehmend an Bedeutung das muss sich in der Schwerpunktsetzung solcher Projekte wieder stärker niederschlagen.
gez. Dieter Knauß, Sprecher der IG Metall Region Stuttgart
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